Donaukurier vom 08.12.2004, Panorama S.3
“Sag Vati bitte, dass er mich nach Hause holen soll“
Der Selbstmord einer jungen Frau bringt die
Bausparkasse Badenia in Bedrängnis und ruft einen juristischen Kleinkrieg
hervor.
Von unserem Redaktionsmitglied Claudia Urbasek
Meiningen (DK) Es ist ein klarer Wintertag mitten
in Thüringen, die Sonne scheint. Ein kleiner Dschungel aus Zimmerpflanzen
steht unter dem Wohnzimmerfenster. Auf der Schrankwand steht ein großes
Bild, das eine junge Frau zeigt. Das ist Anja. Blond, hübsch, selbstbewusst.
Anja ist tot. „Ich habe immer gedacht, sie sei stark“, sagt Klaus Schüller,
ihr Vater. „Sie hat immer ihre Meinung vertreten“, ergänzt Heimgard
Schüller, ihre Mutter. Anja war ein fröhliches Kind. Sie wuchs heran, war
beliebt in der Schule, witzig und souverän. Sie lernte Krankenschwester und
zog von Meiningen nach Würzburg. Es ist der 17. September 2004. Am späten
Nachmittag klingelt das Handy von Klaus Schüller. Anja habe einen Brief
geschickt, sagt Heimgard Schüller –und ihren Wohnungsschlüssel dazu geklebt.
„Hallo Mutti, sag Vati bitte, dass er mich nach Hause holen soll. Es tut mir
leid. Näheres erfahrt ihr später. Sorry Anja.“ Unendlich erscheint die Zeit,
bis die Eltern Anjas Wohnung in Würzburg erreichen. „Sie lag in ihrem Bett“,
erzählt der Vater. „Eingekuschelt“, den Kopf auf dem linken Arm. „Gott sei
Dank, hab ich gedacht, sie schläft“, so der Vater. Er streicht seinem Kind
über den Kopf. „Anja!“, ruft er, und der Bruchteil einer Sekunde lässt ein
ganzes Leben einstürzen. hab ich gemerkt, dass sie ganz kalt war.“ Erst
danach entdecken die Eltern die Infusionsflasche, deren Schlauch zum rechten
Handrücken führt. Eine Mischung aus Narkosemittel und angstnehmenden
Medikamenten hat sie einschlafen lassen. Anja wurde 28 Jahre alt.
Später an diesem Tag werden die Eltern vier
Aschiedsbriefe finden. „Hallo Ihr Zwei! Mal gewinnt man, mal verliert man.
Ich habe nicht mehr die Kraft zu kämpfen, um irgendwann einmal zu gewinnen.
Ich liebe Euch“, steht in silberner Schrift auf blauem Papier.
Und sie finden einen ganz anderen Brief. Er trägt
den Absender der Bezirksfinanzdirektion Würzburg und ist auf den 7.
September 2004 datiert: „Ich teile Ihnen mit, dass die Vergütung der
Betreffenden wegen nachstehenden Anspruchs gepfändet wurde.“ Höhe der
Forderung :70046, 99 Euro, dazu 12 Prozent Zinsen seit dem 27. Januar 2000
und Vollstreckungskosten. Gläubiger ist die Deutsche Bausparkasse Badenia AG
mit Sitz in Karlsruhe. Im Polizeiprotokoll wird stehen: „Selbsttötung wegen
wirtschaftlicher Notlage“, so der „Stern“. Anja Schüller erwarb 1999 eine
Eigentumswohnung in Chemnitz. Der Gesamtpreis betrug rund 140 000 DM (70 047
Euro). Vermittelt wurde die „3- Zimmer- Wohnung in zentraler Innenstadtlage
von Chemnitz“ durch die Firma Heinen &Biege, voll finanziert durch die
Badenia. Geworben wurde mit Steuerabschreibung, Alterssicherung, und die
Miete decke ja den Kredit, so der Vater. „Papa, Du hast immer gesagt, ich
solle mich um meine Altersvorsorge kümmern“, sagte Anja 1999. „Jetzt hab ich
das gemacht und habe mir eine Eigentumswohnung gekauft“, sagte sie damals,
so der Vater. Gesehen hat Anja die gekaufte Wohnung nie. Es stellt sich
heraus, dass das gekaufte Objekt sich keineswegs „von selbst finanziert“: 52
Quadratmeter im lauten Stadtzentum, an der stark befahrenen Annabergstraße.
„Diese Verkäufer reden das den Leuten doch schön“, sagt Heimgard Schüller.
„Die sagen dann, ,wenn Sie Aktien aus den Germanykaufen, dann fahren Sie ja
auch nicht hin und sehen sich die Firma an.“
2001 gerät Anja in Zahlungsschwierigkeiten, weil
die erhofften Steuerrückzahlungen aus bleiben und die Raten steigen durch
für den Laien undurchschaubare Zinsforderungen aus den zwei Darlehen der
Badenia über 68 000 und 69 000 Mark.
Sie leiht sich Geld vom Vater. Die Krankenschwester
schließt eine weitere Risikolebensversicherung ab, um die Raten zahlen zu
können und eine Berufsunfähigkeitsversicherung, weil sie Angst hat, was
passiert, wenn sie vielleicht arbeitsunfähig wird, so der Vater. Es beginnt
eine Spirale, die sie immer tiefer zieht. „2003 hat sie gemerkt, dass es
nicht mehr geht. Sie hat gesagt, von mir kriegen die keinen Pfennig mehr“,
so der Vater.
Sie wendet sich an die Anwaltskanzlei „Reiter und
Collegen“ in Düsseldorf, die rund 300 Mandanten vertritt, die nach dem
gleichen Konzept über die Badenia Immobilien ähnlicher Bauart erworben
haben. „Anja hätte 34 Jahre und elf Monate zahlen müssen, damit ihr am Ende
eine Wohnung gehört, die in einem Plattenbau ist, der vermutlich irgendwann
abgerissen wird“, sagt Klaus Schüller. Er rät seiner Tochter, die
persönliche Insolvenz zu beantragen. Für Anja eine unendliche Scham, dass
nun auch ihr Arbeitgeber von ihren Schulden erfahren wird. Am 19. August
2004 hat sie die eidesstaatliche Versicherung abgegeben. „Ich habe gesagt,
,Anja, die können Dir nicht alles wegnehmen. Und in sechs Jahren hast Du es
geschafft’“, sagt Klaus Schüller. 300 Euro hätte man von ihrem
Krankenschwesterngehalt von 1378 Netto pfänden können, mit 34 wäre sie
schuldenfrei gewesen.
Jetzt kämpft der Sozialdemokrat und DGB- Sekretär
Schüller gegen die Badenia: „Ich will nicht, dass mein Kind umsonst
gestorben ist. Ich will, dass den Gaunern im Frack das Handwerk gelegt wird.
Es ist kriminelles Handeln, den Leuten so etwas anzudrehen. Die Badenia
hätte die Immobilien prüfen müssen und nicht einfach Geld an Kapitallose
geben dürfen.“ Er hat sich der Initiative www.immobetrug.de angeschlossen,
ging an die Öffentlichkeit, schrieb an Bundeskanzler Schröder. Seitdem tobt
ein Rechtsstreit zwischen der Kanzlei „Reiter und Collegen“ und der Badenia
mit gegenseitigen Unterlassungsklagen. Die Badenia sagte unserer Zeitung
gegenüber: „Trotz der laufenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hat die
Badenia nichts unversucht gelassen, um in dieser Angelegenheit doch noch zu
einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen“ und man habe bei der Kanzlei
Unterlagen (u. a. Einkommenssteuerbescheid, Gehaltsnachweis und
Selbstauskunft mit Haushaltsplan) von Frau Schüller angemahnt, um „sich
möglicherweise ein Vergleichsangebot (seitens der Kanzlei, d. Red.) über 15
000 Euro bei Überlassung der Immobilie unterbreiten zu lassen“ –so der
Wortlaut in einem Schreiben an die Kanzlei vom 19. März 2004. Anja Schüller
sei aber weder in der Lage, noch bereit gewesen, einen Vergleichsbetrag von
15 000 Euro zu zahlen, sagt Julius Reiter.
Konkretes Angebot lag nicht vor
Am 30. April 2004 kündigt die Badenia die
Fortsetzung der Zwangsvollstreckung an, weil die geforderten Unterlagen
nicht eingegangen seien, ohne die sie kein konkretes Angebot unterbreiten
könne. Nach Badenia- Angaben erfolgte das einzige Schreiben, nach
Fortsetzung der Vollstreckung, am 7. September 2004 an die Kanzlei „Reiter
und Collegen“, in dem die Badenia schreibt, sie stünde zu ihrem Angebot „die
Darlehensangelegenheit erneut zu prüfen“. An diesem Tag erhielt Anja
Schüller jedoch bereits den Pfändungsbescheid. „Unstrittig ist, dass die
Badenia kein konkretes Vergleichsangebot weder an uns, noch unmittelbar an
Anja Schüller geschickt hat“, sagt Anwalt Julius Reiter. Hat die Badenia
während der laufenden Zwangsvollstreckung „nichts unversucht“ gelassen?
Betrachtet man die die interne Badenia- Notiz vom
20. August – also gut einen Monat vor Anjas Tod – drängt sich der Verdacht
auf, die Badenia hätte viel mehr tun können. Geht doch aus der Regelung
hervor: „Bei lückenhafter Dokumentation der Einkommensunterlagen (. ..),
aber erkannter Zahlungsunfähigkeit, könne ein Vergleich auch versandt werden
unter der Prämisse, dass die Unterlagen nachgereicht werden.“ Warum hat man
ausgerechnet bei Anja Schüller auf die Vollständigkeit der Unterlagen
beharrt? Die Badenia hat nach eigenen Angaben doch bereits bei einem
Arbeitsgespräch am 19. Januar 2004 mit „Reiter und Collegen“, eine
„losgelöste Sonderregelung für Frau Schüller diskutiert“.
Die Anwaltskanzlei „Reiter und Collegen“ sahen
jedoch – die Badenia hatte sich in anderen Vergleichsverhandlungen weit
unnachgiebiger gezeigt als andere Banken –ineiner „Erwägung“ eines
Vergleichs weder eine Zusage noch eine reel greifbare Sonderregelung. Sie
mahnten deshalb ihrerseits eine großzügigere Handhabung der
Vergleichsbereitschaft seitens der Badenia an, die einer Vielzahl ihrer
Mandanten hätte zu Gute kommen sollen, unter anderem auch Anja Schüller.
Die Badenia muss sich fragen lassen, warum es zu
keinem konkreten Vergleichsangbot durch die Badenia gekommen ist. Etwa weil
in der oben genannten internen Notiz vom 20. August die interne Anweisung
besteht, dass gegenüber Mandanten von „Systemanwälten“ (u. a. sind damit,
wie Unterlagen belegen, „Reiter und Collegen“ gemeint) weniger flexible
Vergleichskonditionen angeboten werden sollen?
Die Kanzlei „Reiter und Collegen“ verbat sich
mehrfach eine direkte Kontaktaufnahme seitens der Badenia mit ihren
Mandaten. „Die Badenia hat dennoch in zahlreichen Fällen an uns vorbei mit
Mandanten Kontakt aufgenommen. Überhaupt ist es unüblich, dass während der
laufenden Verhandlungen vollstreckt wird“, so Rechtsanwalt Julius Reiter. Ob
die Badenia sich auch mit Anja Schüller persönlich in Verbindung gesetzt
hat, bleibt im Dunkeln. Die Badenia verneint dies.
Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch ein
internes Badenia- Papier, das für Mitarbeiter der Badenia die „Handhabung
der Reiter- Fälle ab dem 11. Februar 2004“ regelt. Darin heißt es: „Bei
Bedarf nehmen wir direkten Kontakt zu Kunden auf, etwa zur Prüfung der
persönlichen Situation und Glaubwürdigkeit von Angaben. (.
..)Vertragsbezogene Briefe (. ..)gehen direkt an die Darlehensnehmer.
Rechtsanwalt Reiter wird nicht informiert.“ Warum wurde ausgerechnet im Fall
Anja Schüller kein persönlicher Kontakt aufgenommen?
Anja- Schüller- Stiftung
Zurück bleibt in einer Medienschlacht und einem
Füllhorn juristischer Winkelzüge Anjas Familie mit ihrer Trauer und Wut.
Anjas Eltern haben inzwischen eine Stiftung gegründet, die den Namen ihrer
Tochter trägt. Sie wollen, dass das Geld aus Anjas Lebensversicherung „denen
zu Gute kommt, die jetzt in Not sind“, wie Klaus Schüller sagt. Betroffene
sollen sich Anwälte nehmen können. Die Eltern wollen, dass in der Stiftung
ein „Stück von Anja weiterlebt.“
Hintergrund
Die Badenia und ihre Geheimnisse
Ingolstadt (cur/dpa) Der Fall Anja Schüller ist nur
ein kleines Rädchen in einem Kampf von Menschen, die sich durch schwer zu
verstehende Finanzierungsmodelle, minderwertige Immobilien und den
persönlichen finanziellen Ruin durch die Bausparkasse Badenia und der
Immobilienvertreiberfirma Heinen &Biege (inzwischen insolvent) geschädigt
fühlen. Laut dpa und der Süddeutschen Zeitung wurden in den 90er Jahren
durch Heinen & Biege und andere Vertriebsgesellschaften rund 8400 Wohnungen,
zum Teil aus dem Bestand der „Neuen Heimat“, bevorzugt an Kleinanleger ohne
Kapital verkauft und durch die Badenia finanziert. Zugesagt wurden den
Käufern in den meisten Fällen eine Immobilie ohne Instandhaltungskosten,
Steuerersparnisse und dass ein Leerstand der Wohnung durch eine Mietpool-
Rege- lung aufgefangen werde. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft
Mannheim gegen den ehemaligen Vorstand der Badenia, Elmar Agostini, und
andere ehemalige Mitarbeiter wegen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft wirft
ihnen vor, seit Anfang der 90er Jahre mangelhafte Immobilien zu überhöhten
Preisen finanziert zu haben. Belastet wird die Badenia dabei zum einen durch
den ehemaligen Heinen &Biege Geschäftsführer Andreas Mertens. Dieser
bestätigt, so die „Welt“: „Die Wohnungen wurden oft für das Doppelte ihres
Wertes verkauft.“ DerdamaligeJustiziar von Heinen &Biege, Jürgen Lahrmann,
sagte im SWR: „In einem Bereich von 70 bis 80 Prozent hatten die Vermittler
absolut unzutreffend informiert.“ Entscheidend auf künftige Gerichtsurteile
kann sich auch ein Wirtschaftsgutachten der Pricewaterhouse-
Coopers(PwC)auswirken,dasder Vorstand der Badenia im Mai 2002 in Auftrag
gegeben hatte und das die Badenia bis November 2004 unter Verschluss
gehalten hatte.
Das Gutachten, das unserer Redaktion vorliegt,sagt
aus, dass die Verstrickung der Badenia weit über die des Kreditgebers
hinausging, denn die Badenia hatte die sich in einer Liquiditätskrise
befindlichen Heinen &Biege 1995 mit mehreren Darlehen und
Finanzierungshilfen unterstützt. Die Rückzahlungen dieser Darlehen waren
maßgeblich von der Anzahl der Wohnungsverkäufe abhängig. Es bestätigt damit,
dass „die Badenia seit 1998 ihre Rolle als Kreditgeberin überschritten
hatte“. Das Gutachten sagt aus: „Die Badenia hatte spätestens März 1995
Informationen über fehlende Erträge einzelner Mietpools.“ Zudem beweist das
Gutachten, „dass den Darlehensnehmern nicht die erforderlichen
Hintergrundinformationen über den Kenntnisstand hinsichtlich der Mietpools
bei der Badenia“ und das Verhältnis der Badenia zu Heinen &Biege vorlagen.
Es besagt des weiteren, dass etwa die Hälfte der Darlehensnehmer nicht über
ihr Widerrufsrecht aufgeklärt wurde. Inzwischen hat sich
Verbraucherschutzministerin Renate Künast eingeschaltet. Sie sagte im
„Stern“ (Nr. 50), sie sei entschlossen, im Bankenbereich „unter dem Aspekt
eines besseren Verbraucherschutzes systematisch aufzuräumen“ und verglich
den Fall Badenia mit der Rinderseuche BSE: „Wir müssen das Rind von allen
Seiten umzingeln, von allen Seiten betrachten und entscheiden: was muss
geschehen.“ Die Badenia reagierte empörtund sprachderMinisterin die
fachliche Kompetenz ab.
Die Badenia selbst kam jedoch schon früher zu der
Erkenntnis, dass man den Käufern mangelhafte Immobilien verkauft habe. Man
habe sich nichts vorzuwerfen, „außer der internen Erkenntnis, dass man keine
Kapitalanlegerwohnungen in ungeeigneten Hochhäusern in peripheren Lagen
finanzieren sollte“, heißt es in einer internen Notiz für das
Vorstandsmitglied der Badenia Adolf Brockhoff vom 5. März 2004.