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Der Skandal um die Bausparkasse Badenia
Unterm Strich bleibt nur Verzweiflung
Kunden suchten eine sichere Geldanlage und
wurden in den Ruin getrieben — wie die Opfer und ihre Anwälte um eine
Entschädigung kämpfen.
Von Thomas Öchsner
Aufgebrachte Anleger protestieren
gegen die Badenia-Bausparkasse.
Foto: dpa |
Wahrscheinlich ist es kein Zufall,
dass Heimgard Schüller das Beileidsschreiben der Bausparkasse jetzt
nicht gleich findet. „Ich habe das einmal gelesen und nie wieder
angerührt“, sagt sie und legt den Stapel mit den Kondolenzbriefen
zurück auf den Wohnzimmerschrank, gleich neben das große Portrait-Foto
ihrer Tochter.
Anja Schüller ist nur 28 Jahre alt geworden. Am 17. September 2004
nahm sie sich das Leben. Die angehende Fachschwester für Anästhesie
legte sich einen venösen Zugang und ließ langsam einen tödlichen
Medikamentencocktail in ihre Adern fließen.
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„Hallo Ihr Zwei, mal gewinnt man, mal verliert man. Ich habe nicht mehr die
Kraft zu kämpfen, um irgendwann einmal zu gewinnen“, schrieb Anja im
Abschiedsbrief an ihre Eltern, die im thüringischen Meiningen leben.
Warum sich die Tochter, die in Würzburg ihre Ausbildung machte, als
Verliererin sah, steht in dem Schlussbericht der dortigen
Polizeikriminalinspektion. „Als Grund für den Suizid“, heißt es darin, „dürfte
der Eingang eines Pfändungsbeschlusses über 70046,99 , resultierend aus einem
Immobilienerwerb in Chemnitz, der über die Deutsche Bausparkasse Badenia AG
finanziert worden war, zu sehen sein.“
Inzwischen ist Anja Schüller eine öffentliche Person geworden. Nach ihrem Tod
ist ein für die deutsche Wirtschaft wohl einmaliger, bizarrer Streit
entbrannt: Ein Selbstmord wird instrumentalisiert.
Gerhart Baum, früher Bundesinnenminister, jetzt Rechtsanwalt, und ein großes
Finanzinstitut streiten öffentlich über Schuld und Unschuld am Suizid eines
Kunden.
Und die Eltern des Opfers, das Ehepaar Schüller, klagt in den Medien die
viertgrößte deutsche Bausparkasse wegen ihrer Machenschaften bei der
Finanzierung viel zu teuer verkaufter Eigentumswohnungen an. Bei Report
Mainz und Pastor Fliege, bei Mona Lisa und Ein Fall für Escher,
im Stern und in der Bild am Sonntag.
„Kriminell
und sittenwidrig“
„Anja soll nicht sang- und klanglos gestorben
sein. Wir machen das für unser Kind“, sagt Heimgard Schüller, „und für die
anderen“, fällt ihr Mann ihr ins Wort. „Wir wollen zeigen, dass es bei der
Badenia noch mehr Verlierer wie Anja gibt.“
Klaus Schüller hat die ganze Zeit um die richtigen Worte gekämpft. Immer
wieder schaut er, mit den Tränen ringend, von seinem Wohnzimmersessel hinüber
auf das Portrait seiner Tochter. Aber jetzt, wo es um die Rolle der Badenia
geht, bricht die ganze Wut aus diesem Mann heraus, der seine Tochter verloren
hat.
„Wenn ich ein Medikament kaufe, sind doch auch auf jedem Beipackzettel die
Nebenwirkungen beschrieben“, sagt er, „aber Anja haben sie über die Risiken
eines Immobilienkaufs nie aufgeklärt.“ Schüller hält das für „kriminell und
sittenwidrig“. Bei so etwas könne doch eine Bausparkasse nicht mitmachen.
Im Badenia-Skandal ermittelt inzwischen in Mannheim die
Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität wegen Betrugs auf
Kosten von Bausparern. Für die Staatsanwälte ist der Fall eindeutig: In den
Neunzigerjahren verkauften die Vermittlerfirmen Heinen & Biege (H & B) und die
„Köllner Gruppe“ mehr als 8000 Eigentumswohnungen als Kapitalanlage
überwiegend an Kleinanleger.
Die Vertreter der Drückerkolonnen gaukelten
den Käufern dabei vor, dass sich die Investition über die Steuerersparnis und
die Miete quasi von selbst finanziert. Die Kunden brauchten deshalb auch kein
eigenes Geld. Kapital gab es fast immer von einer Bausparkasse: der Badenia.
Was die Vermittler im heimischen Wohnzimmer vorrechneten, erwies sich aber
häufig als Lügenmärchen. Die Raten waren höher, die Mieteinnahmen geringer als
versprochen, und die Preise für die Wohnungen waren von Anfang an überhöht.
Oft gingen allein 20 Prozent und mehr für Provisionen drauf. Die
Verkaufsmasche funktionierte auch bei anderen Finanzdienstleistern. Der
Bundesverband der Verbraucherzentralen schätzt, dass 300.000 Anleger etwa zehn
Milliarden Euro in Schrottimmobilien investierten.
Trotzdem bleibt die Badenia ein Sonderfall, Verbraucherministerin Renate
Künast (Grüne) bezeichnete ihn vergangene Woche sogar als „BSE-Fall im
Bankenbereich“: Weil einige Insider wohl ein ziemlich schlechtes Gewissen
hatten, weil die Ermittler kürzlich bei einer Durchsuchung der
Badenia-Zentrale fündig wurden und weil ein Wirtschaftsdetektiv verdammt gut
recherchiert hat, verfügen die Anwälte der Opfer über Material, das sie sonst
nur bekommen würden, wenn sie die Schlüssel für die Schubladen des
Vorstandsvorsitzenden hätten.
Bei keinem anderen Finanzinstitut ist die Zusammenarbeit zwischen
provisionshungrigen Vermittlern und Kreditgebern mittlerweile so gut
dokumentiert wie bei der Badenia. Und bei keinem anderem Geldhaus sind Fälle
wie der von Anja Schüller so publik geworden.
Das liegt auch am früheren
Bundesinnenminister Gerhart Baum. Der 72-jährige Rechtsanwalt müsste
eigentlich nicht mehr arbeiten. Dennoch geht er jeden Tag in sein schönes
Kölner Büro mit Blick auf den Rhein und tut, was er nicht lassen kann. Baum
war Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für den Sudan.
Er hat die Opfer des Ramstein-Unglücks, die Angehörigen des Concorde-Unglücks
und die russischen Zwangsarbeiter gegen die Bundesregierung vertreten. Und
jetzt wirft er seinen Namen für die Opfer der Badenia in die Waagschale. „Je
älter ich werde“, sagt Baum, „desto zorniger reagiere ich auf Unrecht.“ Und in
dieser Rolle kann der ehemalige Minister ziemlich unangenehm werden.
Baum ärgert sich über die vielen früheren Politiker-Kollegen, die auf der
anderen Seite stehen und ihren Einfluss nicht zugunsten der Schwachen geltend
machen. Er denkt dabei an Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der im
Aufsichtsrat des Mutterkonzerns der Badenia, AMB Generali, sitzt.
Oder an Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), der zusammen mit einem
Dutzend anderer ehemaliger Spitzenpolitiker dem Aufsichtsrat oder Beirat der
Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG) angehört, eines Finanzvertriebs, den die
AMB Generali zu knapp 50 Prozent besitzt.
Auch im Fall Schüller hat der frühere
Minister kräftig ausgeteilt. Für ihn ist die junge Frau „ein Badenia-Opfer“.
Und diese Tatsache, schrieb Baum an den Aufsichtsratschef des Mutterkonzerns
AMB Generali, Ex-Siemens-Chef Wolfgang Kaske, werde er schon allein deshalb
öffentlich machen, „um weiteren Selbstmordfällen entgegenzuwirken“.
Baum spielt damit darauf an, dass sich bereits drei andere Badenia-Kunden
umgebracht haben. Aber da gab es keine Eltern, die mit ihrem Schmerz und Zorn
vor die Kameras traten. Und – so muss man es wohl sehen – der Freitod eines
jungen schönen Mädchens findet einfach mehr Interesse als der jenes
arbeitslosen Müllmannes, der sich ebenfalls umgebracht hat.
Baums Mitstreiter ist ein politischer Weggefährte, Rechtsanwalt Julius Reiter.
Als Baum in den Achtzigerjahren für die FDP als Abgeordneter im Bundestag saß,
war Reiter sein politischer Assistent.
Jetzt führt er eine Kanzlei mit sieben Anwälten in Düsseldorf, und Baum ist
Mentor und Ratgeber für Reiter und seine Kollegen. Reiter, wie Baum ein
versprengter Linksliberaler, ist kein Prozesshansel
Mehr als 500 Vergleiche hat seine Kanzlei mit anderen Finanzinstituten
ausgehandelt, ohne in der Öffentlichkeit davon viel Aufhebens zu machen. Aber
bei der Badenia biss er mit dieser Strategie auf Granit. Gerade einmal 31
Vergleiche hat Reiter mit der Bausparkasse geschlossen, obwohl seine Kanzlei
etwa 300 Badenia-Kunden betreut.
Hier haben formalistische Buchhalter
das Sagen, die jeden Cent umdrehen und im Umgang mit getäuschten Kunden
absolut unnachgiebig sind“, sagt der 40-jährige Anwalt.
Anfang
des Jahres hatten Baum und Reiter von der Mauertaktik der Badenia genug.
Sie gingen an die Öffentlichkeit. Aber erst der Selbstmord von Anja
Schüller löste einen publizistischen Wirbel aus, mit dem die beiden
Anwälte wohl selbst nicht gerechnet hatten. Und jetzt schlägt die
Badenia zurück.
Entschieden hat das ein Mann, der tatsächlich so aussieht wie ein
Buchhalter: Dietrich Schroeder, der Vorstandsvorsitzende der Badenia,
trägt keine Nadelstreifen und auch keine Designerbrille. Sein Anzug ist
schwarz und schlicht, die Krawatte dezent dunkelblau, seine Gesten
sparsam.
Hier im
Konferenzsaal des Badenia-Vorstands in Karlsruhe sitzt ein Manager, der
möglichst nicht auffallen will und überhaupt kein Problem damit hat, als
„Buchhalter“ bezeichnet zu werden. Schroeder lächelt, als er das Wort
hört, und sagt: „Wir können nicht wie Mutter Teresa Geld verschenken.
Wir tragen die Verantwortung für das Geld von 1,5 Millionen Kunden. Was
wir tun, muss kaufmännisch vernünftig sein.“ |
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Ein wahrer
Alptraum
Schroeder hat
den Skandal geerbt. 2002 holte man den Wirtschaftsprüfer als neuen
Vorstandschef. Der alte Vorstand war nicht mehr zu halten, nachdem ein von der
staatlichen Finanzaufsicht bestelltes Gutachten vernichtend ausgefallen war.
Dem damaligen Vorstand, heißt es darin, seien „überhöhte Verkaufspreise“ für
die Schrottimmobilien bekannt gewesen. Man könnte auch sagen: Die Badenia ließ
ihre Opfer bewusst ins Verderben laufen.
Schon deshalb kann der Vater von Anja nicht den Mund halten. Klaus Schüller
ist Gewerkschaftssekretär in Erfurt, manche in Thüringen nennen den SPD-Linken
das „Maschinengewehr des Proletariats“. „Hier hat ein Unternehmen versucht, um
jeden Preis Geld zu verdienen“, sagt Schüller. Für den gelernten
Werkzeugmacher ist dies „Raubtierkapitalismus“.
In einem Brief an seinen Parteifreund, Bundeskanzler Gerhard Schröder, fragt
er: „Darf das Streben nach Renditen, Profiten und Gewinnen dazu führen, dass
junge Menschen als wehrlose Opfer dafür herhalten müssen? Eine Altersvorsorge
untergejubelt bekommen, die sich als wahrer Alptraum herausstellt?“
Anja hatte zuletzt eine Nettogehalt von etwa 1300 Euro. Schüller kann nicht
verstehen, warum sie mit einem so geringen Einkommen einen Kredit über 140.000
DM für eine 52 Quadratmeter große Wohnung in einem renovierten Plattenbau in
Chemnitz bekam. „Herr Schroeder“, rief Schüller kürzlich bei einer
Demonstration vor der Badenia-Zentrale hinauf zu dem Vorstandschef der
Bausparkasse, „kommen Sie herunter und schauen Sie mir in die Augen“. Aber
Schroeder kam nicht herunter.
Er ließ die Zentrale abschließen. Auch die Telefone wurden nicht bedient.
Kurze Zeit später sprach er in einem Interview von blauäugigen Anlegern. Jetzt
sagt er, auf den wütenden Vater Schüller angesprochen: „Glauben Sie mir, mir
tut das wirklich unendlich Leid.“
Weniger rührselig zeigt sich der Vorstandschef bei den Anwälten. Im Fall Anja
Schüller ist er zum Gegenangriff übergegangen. Er hält den Anwälten vor, auf
Schreiben und Anfragen der Badenia nicht reagiert zu haben. „Das ist doch ein
ungeheuerlicher Vorwurf, uns dann für den Freitod von Frau Schüller
verantwortlich zu machen“, sagt er.
Deshalb habe er sich schließlich „für eine offensive Vorgehensweise
entschieden und nicht mehr weiter die linke und rechte Backe im Wechsel
hingehalten“. So ließ der Vorstandschef Anfang November seitenlange
Presseerklärungen mit Überschriften verteilen, wie sie in der diskreten
Geldbranche eigentlich undenkbar sind. „Hat sich Gerhart Baum um Anja Schüller
gekümmert?“, heißt es da in fetten Lettern.
Kleinkrämer
und Härtefälle
Die Kanzlei Reiter kontert, die Bausparkasse
habe selbst bei Kunden, die schwer krank oder zahlungsunfähig seien, bei
Verhandlungen fast kein Entgegenkommen gezeigt und sogar vollstreckt.
„Normalerweise gilt: Wenn verhandelt wird, schweigen die Kanonen“, sagt
Reiter. Jetzt streiten die Badenia und die Kanzlei Reiter vor Gericht, wer
wann was für Anja Schüller getan hat und wer was dazu sagen darf.
Aber eigentlich ist dies nur eine juristische Stellvertreterschlacht für einen
weitaus größeren Konflikt: Wie gierig darf ein Kreditinstitut sein? Wie weit
darf eine Bank oder Bausparkasse gehen, um möglichst viel Geld zu verdienen?
Hat ein Geldhaus auch ohne Richterspruch die moralische Verpflichtung,
geprellte Kunden zu entschädigen, wenn es für deren finanziellen Ruin
mitverantwortlich ist?
Nun wird Schroeder die Geister, die seine Vorgänger gerufen haben, nicht mehr
los. Nach Ansicht von Baum ist er daran selbst Schuld. „Statt die Altlasten
schnell zu bereinigen, ist er wie ein Kleinkrämer mit den Härtefällen
umgegangen.“
Jetzt sitzt der Badenia-Chef auf einem Scherbenhaufen. Der Manager ist
passionierter Fallschirmspringer. Fallschirmspringen, findet er, sei eine
hervorragende Übung für Führungskräfte. Schließlich müsse man schnell
reagieren und Entscheidungen treffen.
Wer nichts tue, werde mit dem Tod bestraft. Beim Thema Schrottimmobilien hat
er den Fallschirm aber zu spät geöffnet – wohl auch aus Angst vor möglichen
Konsequenzen. Gibt er in ein paar hundert Fällen nach, könnten ein paar
tausend nachkommen, die ebenfalls aus ihren Kreditverträgen herauswollen. Das
könnte die Bausparkasse ruinieren.
Öffentlich aussprechen würde Schroeder dies so aber nie. Er formuliert es
anders: „Wir müssen zu angemessenen Kurskorrekturen kommen. Es hätten sicher
mehr Vergleiche sein können.“ Über Fehler redet ein Manager nicht gerne. Aber
nach einer langen Denkpause sagt er: „Es kann nicht sein, dass die
Korrespondenzen so lange dauern. Wir müssen schneller werden und das werden
wir auch.“
Schnell jedenfalls war Schroeder mit einem Kondolenzschreiben bei der Hand.
Der Badenia-Chef wollte zeigen, dass ihm die Sache am Herzen liegt. Und Vater
Schüller nimmt ihm das sogar ab.
Eines aber, findet Schüller, hätte sich Schroeder besser verkneifen sollen:
Der Badenia-Chef fügte seinem Brief noch zwei Seiten bei – mit einer
Erklärung, warum die Bausparkasse nicht für den Tod von Anja Schüller
verantwortlich sei. Er konnte es nicht dabei belassen, einfach nur sein
Beileid auszusprechen.
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