Süddeutsche Zeitung vom 16.10.2004
Karlsruher Abzocke - Die Bausparkasse hat bei der
Finanzierung von Schrottimmobilien eine besonders unrühmliche Rolle
gespielt - trotzdem zeigt sie sich im Umgang mit ihren Opfern hart
Die fragwürdigen Methoden der Badenia
Von Thomas Öchsner
Es war schon nach Mitternacht, als Ferdinande und
Walter Schneemann unterschrieben. Zwei Stunden hatten die Vermittler auf
das Ehepaar aus Uder in Thüringen eingeredet und immer wieder gesagt, dass
sich die beiden um nichts kümmern müssten. Die Eigentumswohnung finanziere
sich mit der Steuerersparnis und den Mieteinnahmen quasi von selbst.
Eigenkapital sei nicht nötig. Und nach zehn Jahren ließe sich die
Immobilie mit Gewinn verkaufen.
120 000 Mark zahlten die Schneemanns damals für
die Immobilie, ein 44 Quadratmeter großes Appartement in einem Wohnblock
bei Helmstedt. 180 000 Mark sollte die Eigentumswohnung, die die
Bausparkasse Badenia finanzierte, nach zehn Jahren wert sein. Aber schon
bald begriffen die Schneemanns, dass sie damals im März 1993 einen
schweren Fehler begangen hatten, der ihr Leben entscheidend verändern
würde.
Die Schneemanns bekamen eine Schrottimmobilie
angedreht. Schon nach einem dreiviertel Jahr stellte sich heraus, dass
alles, was die Vermittler auf einem Schmierzettel vorgerechnet hatten,
nichts wert war. Die Raten waren höher, die Mieteinnahmen geringer als
versprochen. Die Wohnung war selbst deutlich unter dem Einkaufspreis
unverkäuflich. Die Schneemanns waren einem Vermittler der Firma Heinen &
Biege (H & B) aufgesessen, die Anfang der neunziger Jahre im
Zusammenwirken mit der Badenia an Klein- und Mittelverdiener systematisch
überteuerte Eigentumswohnungen verkaufte. Die von dem Ehepaar
eingeschaltete Immobilienmaklerin Sabine Pangritz schätzt, dass die
Wohnungen in dem Block schon beim Verkauf 30 Prozent zu viel kosteten.
Aber auf ein Entgegenkommen der Bausparkasse wartet das Ehepaar bislang
vergeblich.
Mit dem Sparen am Ende
Heute sitzt Ferdinande Schneemann, 54, am
gleichen Wohnzimmertisch und ringt um Fassung. Sie hat Brustkrebs. Ihr
Mann, 55, sitzt nach einer Gehirnblutung im Rollstuhl und ist
schwerstpflegebedürftig. Beide erhalten eine kleine
Erwerbsunfähigkeitsrente. Die neue Heizung für ihr Reihenhäuschen, das sie
in Uder bewohnen, ist noch nicht abbezahlt. Die Zinsen für die
Bauspardarlehen der Badenia verschlingen jeden Monat 264,59 Euro. Und
Ferdinande Schneemann weiß nicht mehr, wo sie sparen soll.
Vier Badenia-Opfer haben sich inzwischen
umgebracht. Doch die viertgrößte deutsche Bausparkasse, eine Tochter der
AMB Generali, weist jede Mitschuld von sich. "Der Großteil der
Finanzierungen von Anlegerobjekten verläuft absolut störungsfrei", heißt
es bei der Bausparkasse. Und auf Härtefälle nehme man Rücksicht. Julius
Reiter, Rechtsanwalt der Schneemanns in Düsseldorf, sieht dies ganz
anders: 300 Badenia-Kunden vertritt er. Über 500 Vergleiche hat seine
Kanzlei bereits mit anderen Banken abgeschlossen. "Aber die Badenia ist im
Umgang mit den getäuschten Kunden im Gegensatz zu anderen Banken absolut
unnachgiebig. Dabei hat sie bei der Finanzierung von Schrottimmobilien
eine besonders unrühmliche Rolle gespielt", sagt Reiter.
Die Vorgeschichte: Anfang der neunziger Jahre
ließ die Badenia über die inzwischen insolvente Heinen & Biegen und über
die "Köllner Gruppe" rund 8400 Wohnungen, teilweise aus dem ehemaligen
Bestand der Neuen Heimat verhökern. Wie die Verkaufsmasche funktionierte,
ist in einem 146-seitigen Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Deloitte & Touche nachzulesen, die im Auftrag der Finanzaufsichtsbehörde
das Geschäftsgebaren der Bausparkasse durchleuchtete. Darin heißt es, dass
"von einer systematischen Überbewertung der Sicherungsobjekte ausgegangen
werden muss". Dem Vorstand seien "überhöhte Verkaufspreise" bekannt
gewesen. Und: Die Kreditgewährung sei "als insgesamt nicht ordnungsgemäß
zu bewerten". Man könnte also auch sagen: Die Badenia ließ die Anleger
bewusst ins Verderben laufen.
Anfang März 1993, als die Vermittler von Heinen &
Biege am Wohnzimmertisch der Schneemanns saßen, verdienten die beiden
nicht viel. Er, Lagerarbeiter, und sie, Kassiererin bei einem
Energieversorger, kamen zusammen auf 2300 Mark netto. Aber das mache
nichts, versicherten ihnen die Heinen & Biege-Leute, sie müssten ja nur
kleine Raten zahlen. "Die Rede war von 100 Mark im Monat", sagt Ferdinande
Schneemann. Möglich machte dies ein ausgeklügeltes Finanzierungsmodell,
das speziell Kleinanleger ansprechen sollte.
Erhöhter Kaufpreis
Dabei ersetzte ein Vorausdarlehen, das durch zwei
Bausparverträge getilgt werden sollte, die sonst übliche mehrjährige
Ansparphase. Eigenkapital war dadurch nicht notwendig. Die monatliche
Belastung sei, wie in einer Verfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe
nachzulesen ist, "in den Anfangsjahren künstlich niedrig gehalten" worden.
Dies habe aber zu einem "erhöhten Kaufpreis" geführt, "was für viele wohl
mit einem höheren Verkehrswert gleichbedeutend war". Außerdem operierte
die Badenia mit unterschiedlichen Bonitätsanforderungen: Die Mitarbeiter
hatten bei einem Ehepaar Lebenshaltungskosten von 1000 Mark anzusetzen,
bei der Drückerkolonne von Heinen & Biege reichten 800 Mark. Das machte
die Kunden auf dem Papier liquider - und schon war der Kreis der möglichen
Käufer erweitert.
Der frühere Heinen & Biege-Geschäftsführer
Andreas Mertens gibt inzwischen offen zu: "Die Vermittler gaben selbst in
der Regel einseitig die Finanzierung durch die Badenia vor, weil hier die
größte Provision mit dem geringsten Aufwand zu erreichen war." Diese
Provisionssätze lagen bei 20 Prozent des Kaufpreises, teilweise sogar
darüber. Laut einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 1.
Oktober 2004 an die Kanzlei Reiter stellt sich das vorläufige
Ermittlungsergebnis in der Strafsache gegen Heinen & Biege so dar, "dass
die überwältigende Mehrheit der Wohnungserwerber über die gezahlten
Innenprovisionen nicht aufgeklärt und bei deren Kenntnis die Immobilie
nicht erworben hätten. Insoweit hat sich der Betrugsvorwurf erhärtet."
Vier Jahre dauern die Ermittlungen gegen die
Firmengründer von H & B, Uwe Heinen und Laurenz Biege, nun schon. Auch
gegen den früheren Finanzvorstand der Badenia, Elmar Agostini, wird
ermittelt. Seine Akte erhielt kürzlich die Schwerpunktstaatsanwaltschaft
für Wirtschaftsstrafsachen in Mannheim. Er hatte, so die
Staatsanwaltschaft Karlsruhe, "umfassende Kenntnis vom Geschäftsgebaren
der H & B".
In einem Bericht des Dortmunder
Kriminalkommissariats 31 über die Abzockmasche der Badenia am Beispiel
einer Wohnanlage in Schwelm heißt es: "Die Festlegung des Kaufpreises
erfolgte ausschließlich am grünen Tisch, und zwar zwischen Herrn Biege
und/oder Heinen und Herrn Agostini. Der Verkehrswert orientierte sich
ausschließlich daran, wie ein Gewinn aus den jeweiligen Abverkäufen
maximal erzielbar sein würde zu Gunsten der Badenia und der Heinen &
Biege-Gruppe."
Schwer wiegt auch der jüngste Vorwurf gegen die
Badenia: Der Heinen & Biege-Justiziar Jürgen Lahrmann hat vor der Polizei
gestanden, Vermittler von H & B vor ihrem Zeugenauftritt bei
Badenia-Prozessen trainiert zu haben. Demnach sollten die Drücker auf
ausdrücklichen Wunsch der Badenia vor Gericht erzählen, dass sie umfassend
über die Risiken des Badenia-Modells aufgeklärt hätten. Die Badenia weist
diesen Vorwurf zurück und hat Strafanzeige gegen Lahrmann gestellt.Der
wiederum lässt sich nicht beirren. Lahrmann verweist auf die Hotel- und
Taxirechnungen, Flugscheine und Fahrkarten, die er als Beweismaterial für
seine "Trainingsbesuchen" sicher im Ausland aufbewahrt. Es hatte bereits
einen versuchten Einbruch in einer Immobilie von Lahrmann gegeben. Für
seine Glaubwürdigkeit spricht auch, dass er sich selbst belastet, weil er
womöglich zu Falschaussagen angestiftet hat.
Prozessbetrug wird geprüft
Die Staatsanwaltschaft prüft jedenfalls
inzwischen, ob Prozessbetrug vorliegt oder nicht. Sollte sich dies
bestätigen, könnten Rechtsanwälte versuchen, einzelne Prozesse neu
aufzurollen. Vielleicht haben sie dann mehr Erfolg als bisher. Bislang hat
die Badenia fast jeden Prozess gewonnen. Dies mag mit ein Grund sein,
warum sich die Badenia bislang in Härtefälle wie den Schneemanns wenig
kulant gezeigt hat. Seit 2002 schloss das Unternehmen bis Ende August
nicht einmal 100 Vergleiche ab. Für Rechtsanwalt Reiter ist dies ein
"Armutszeugnis". Er wirft der Badenia eine unprofessionelle Abwicklung der
Härtefälle vor. Immer wieder fordere die Bausparkasse neue Unterlagen an.
Die eine Abteilung wisse nicht, was die andere tue. Und häufig werde
versucht, am Anwalt vorbei mit den Kunden zu verhandeln. "Dagegen war die
Badenia stets aktiv, wenn es darum ging, unsere Mandaten ohne unsere
Kenntnis mit Mahnschreiben und Vollstreckungsandrohungen zu bombardieren",
kritisiert Reiter.
Die Familie Schneemann hat die Zahlung der Raten
inzwischen eingestellt. Nur liegt Ferdinande Schneemann jetzt noch
häufiger schlaflos nachts im Bett und grübelt. "Ich habe einfach Angst",
sagt sie, "dass es eines Tages klingelt und der Gerichtsvollzieher vor der
Tür steht".